André Weißenfels

(Doktorand, FU Berlin/ Deutschland)

André Weißenfels ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand an der FU-Berlin. Ausgebildet in Nah- und Mitteloststudien und Soziologie, analysiert André in seinem Promotionsprojekt den Alltag tunesischer Arbeiter in einer französischen Fabrik in Tunis und wie dieser mit globalen kapitalistischen Dynamiken und dem postkolonialen Entwicklungsprojekt des tunesischen Staates zusammenhängt. In seiner Lehre konzentriert sich André auf Themen der politischen Ökonomie, Macht-Wissens-Dynamiken und anarchistisches Denken und Praktiken. Im Rahmen des MECAM-Stipendiums sammelt er Zeugnisse der autonomen Selbstverwaltung nach der Revolution von 2010. In dieser Zeit beschlossen verschiedene Gruppen in ganz Tunesien, staatliches Land (zurück) zu fordern. In vielen Fällen übernahmen die Menschen die Kontrolle über dieses Land und begannen, es individuell oder kollektiv zu bewirtschaften. Fast alle diese Projekte sind verschwunden, nachdem der Staat seit 2014 damit begonnen hat, diese Ländereien zurückzunehmen/zu enteignen. Das Ziel von Andrés Forschungsprojekt ist es, diese Erfahrungen zu sammeln und sie aus einer anarchistischen Perspektive zu theoretisieren.

Projekt Inégalité & Mobilité.

Collective management and self-governance as a challenge to the post-revolutionary nation state?

Im Landesinneren Tunesiens liegen viele Gemeinden seit langem im Streit mit verschiedenen zentralen Behörden. Sie wurden von den französischen Kolonisator*innen und später vom postkolonialen tunesischen Nationalstaat enteignet und an den Rand gedrängt. Vor dem Hintergrund enttäuschter Hoffnungen nach der Revolution von 2010 haben diese lange genährten Ressentiments gegenüber den zentralen Behörden den Weg für neue Formen der autonomen Selbstverwaltung und des Selbstmanagements in den historisch vernachlässigten Gebieten außerhalb der Küstenregion geebnet. Diese autonomen Projekte zeichnen sich durch das Bestreben aus, verschiedene (landwirtschaftliche) Ressourcen kollektiv zu bewirtschaften und die daraus gewonnenen Gewinne in die lokalen Gesellschaftsstrukturen zu integrieren. Eine erste Analyse einer kleinen Auswahl solcher Projekte (Jemna, Aoulad Jaballah, Menzel Bouziane) zeigt, dass sie auf einer doppelten Struktur zu beruhen scheinen: Einerseits haben sie begonnen, bestimmte wirtschaftliche Ressourcen kollektiv zu verwalten. Andererseits haben diese Projekte eine partizipatorische politische Vertretung hervorgebracht, um einvernehmlich über die allgemeine Ausrichtung des Projekts, die Verteilung der Ressourcen und den Konflikt mit den zentralen Behörden zu verhandeln.

Ich werde mein MECAM-Stipendium nutzen, um:

  1.     mich mit Beispielen der autonomen Selbstverwaltung zu befassen
  2.     ihre soziale Dynamik und ihren historischen Kontext herauszuarbeiten
  3.     über ihre Bedeutung für einen laufenden postkolonialen Kampf, postrevolutionäre Lernprozesse und die Anwendung anarchistischer Praxis nachzudenken.
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